Zur Geschichte:
Hermannsburg, ein kleiner Erholungsort im Naturpark Südheide, liegt etwa 30 km nördlich von Celle. Im Ortsbild des 5000 Einwohner zählenden Ortes, der seine Entstehung im 10. Jahrhundert Hermann Billung verdankt, fallen schnell die großen und kleinen Kirchenbauten auf: Die Peter und Paul-Kirche der lutherischen Landeskirche, deren Gründung auf das Jahr 973 zurückreicht, die Große Kreuzkirche, gebaut 1878/79 und die Kleine Kreuzkirche von 1887, beide zur Selbständigen Evangelischen Kirche SELK gehörend und die katholische Auferstehungskirche von 1975. Hermannsburg ist in aller Welt bekannt durch die Hermannsburger Mission, dem Evangelisch-lutherischen Missionswerk ELM, dessen Gründung 1849 durch Ludwig (Louis) Harms erfolgte.
Hermannsburg und die Große Kreuzkirche
Hermannsburg war im letzten Jahrhundert ein Zentrum der lutherischen Erweckungsbewegung im Hannoverland. Hier wirkte der Begründer der Hermannsburger Mission, Ludwig (Louis) Harms. Nach dessen Tod 1865 führte sein Bruder Theodor sein Werk fort. Hermannsburg wurde zu dieser Zeit in seinem Gemeindeleben stark durch den Einfluß der lutherischen Kirche geprägt.
Im Zuge der Erweckungsbewegung führten verschiedene Pastoren im ganzen Land den Kampf gegen die Verweltlichung der Kirche, so auch Theodor Harms in Hermannsburg. Verschiedene Ereignisse im 19. Jahrhundert führten zur Gründung der Selbständigen evangelisch-lutherischen Großen Kreuzgemeinde. Dazu gehörten
· die Bildung einer Unionskirche unter massiven staatlichen Einfluß in Preußen aus lutherischer und reformierter Kirche,
· der "Katechismusstreit", bei dem 1862 von staatswegen ein überarbeiteter Katechismus eingeführt werden sollte,
· die Aufgabe der Teufelsentsagung bei der Taufe und
· als auslösendes Moment die Änderung der Trauliturgie.
Pastoren, die die neue Trauformel ablehnten, wurden abgesetzt. So geschehen 1878 in Hermannsburg. Theodor Harms war Pastor der lutherischen Peter und Paul-Gemeinde. Da er sich gegen die staatliche Verordnung der neuen Trauliturgie aussprach, mußte er bis Ende Februar 1878 das Pfarrhaus räumen. Als Missionsdirektor bezog er eine Wohnung im Alten Missionshaus. 2000 Gemeindemitglieder, ca. zwei Drittel der damaligen Gemeinde, erklärten daraufhin den Austritt aus der Landeskirche. Gottesdienste wurden nun in einer Scheune gehalten, im Mai 1879 konnte das neue Gotteshaus, die Kreuzkirche, geweiht werden. Mehr über die Hermannsburger Große Kreuzkirche erfahren Sie hier.
Aus diesem Exkurs in die Kirchengeschichte ist vielleicht zu verstehen, daß sich in Hermannsburg sehr lange streng konservative Bräuche gehalten haben. Dazu gehörte die Anordnung, daß Frauen ihr Haupt in der Kirche zu bedecken hatten, was aus der Bibel abgeleitet wurde.
Bereits Louis Harms hatte eine Abendmahlstracht befürwortet, da sie soziale Unterschiede abbaue. Arm und Reich waren so nicht gleich an Äußerlichkeiten wie der Kleidung zu erkennen. Eine eigenständige Volkstracht hat es in der Hermannsburger Gegend nicht gegeben, trotzdem ist die Abendmahlskleidung der Frauen wohl als ausgesprochene Tracht zu bezeichnen. Sie war schlicht und einfach, bestand sie doch aus einem langen schwarzen Kleid, über das ein weißes Schultertuch gelegt wurde. Auf dem Kopf trug man eine schwarzweiße Haube, die sogenannte "Strichmütze". Sie wurde mit zwei breiten schwarzen Bändern unter dem Kinn gehalten, die zu einer Schleife gebunden wurden. Diese Tracht wurde von den Konfirmandinnen des Kirchspiels Hermannsburg bis ins Jahr 1959 getragen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Strichmützen als Abendmahlstracht durch ein schwarzes Florband bzw. durch eine geklöppelte Barbe ersetzt. Die Strichmütze war eine komplizierte Konstruktion, es gab immer weniger Frauen, die sie nähen, waschen oder bügeln konnten. Daher ist zu verstehen, dass sie immer mehr als Abendmahlstracht verschwand. Hinzu kamen modische Einflüsse, die Haartracht änderte sich, so dass nun die Barbe besser auf dem Haar saß als die Strichmütze, die einen Haarknoten erforderte.
Barben als Kopfbedeckung zur Konfirmation wurden bis 1968 getragen [ siehe Fotos ]. Inzwischen trugen die Mädchen modisch kurzgeschnittenes Haar, zu dem die geklöppelte Barbe kaum paßte. Auch der Zeitgeist der Jahre tat hier sicher ein übriges, um die überlieferten Traditionen fallen zu lassen. Auch der starke Verschleiß wird als Grund für das Verschwinden der Barben genannt. Es gab keinen "Nachschub" an neuen Stücken mehr.
Das Material der geklöppelten Barbe war schwarze Seide, ein Garn, das durch den Färbevorgang schon strapaziert und daher anfällig für Verschleiß war. Die Barben wurden im Nacken geknotet, ein Verfahren, welches dem Material an diesen Stellen besonders zugesetzt hat [ siehe Fotos ]. Viele der noch vorhandenen Stücke weisen an den Bindestellen starke Beschädigungen auf.
In früheren Jahren konnten die benötigten Barben im ortsansässigen Textilgeschäft gekauft werden. Sie wurden aber auch teilweise in Hermannsburg von Privat geklöppelt.
Die Missionarsfrau Anna Scriba lernte in Indien während ihres Missionsaufenthaltes das Klöppeln bei einer befreundeten deutschen Missionarsfrau. Sie hatten in ihren Missionsstationen Mädchenschulen eingerichtet, in denen neben der Christenlehre auch das Spitzenklöppeln gelehrt wurde, um einen Broterwerb zu ermöglichen. Anna Scribas Klöppelfertigkeiten waren sehr weitreichend. Zurück in Hermannsburg klöppelte sie fortan Barben für den Gebrauch in der Großen Kreuzkirche, von denen heute noch einige erhalten geblieben sind.
Die Barben weisen zwei unterschiedliche Formen auf: Zur Konfirmation und danach trugen die jungen Mädchen gleichmäßig schmale schwarze Kopfbänder [ siehe Fotos ]. Die andere Form, gedacht für verheiratete Frauen, weist im Mittelteil ein stark verbreitertes Muster auf [ siehe Fotos ]. In den Wäscheschränken lassen sich heute eher schmale Stücke denn breite auffinden. Die Mädchenbarben hatten ja nach der Heirat ausgedient. Es wird auch berichtet, daß ältere Frauen Wert darauf legten, mit der umgebundenen Barbe beerdigt zu werden.
Klöppeltechnisch lassen sich die erhaltenen Barben mit ganz wenigen Ausnahmen der erzgebirgischen Guipure zuordnen. Spitzen, auch Barben dieser Art, sind in verschiedenen Katalogen und Büchern zu finden, die sich mit Erzgebirgsspitzen beschäftigen [ siehe Fotos ]. Aber auch Verbindungen nach Dänemark in die Gegend von Tondern sind denkbar. Im Museum von Tondern werden auch schwarzseidene Barben ähnlicher Art gezeigt. Daneben gibt es eine schmale Barbe in Hermannsburg, die mit einem Klöppelbrief aus Süddänemark identisch ist [ siehe Fotos ]. Wie hierbei die Zusammenhänge sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Auch ist es nicht mehr nachvollziehbar, woher z. B. Frau Scriba ihre Klöppelvorlagen genommen hat.
aus: Jutta Busch, Hermannsburger Barben, in: Kirche und Spitze, Herausgeber: Deutscher Klöppelverband e. V.
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